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SYMPOSIUM FOCUS 1600

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Ausgehend von der bildkünstlerischen und architektonischen Produktion der Zeit um 1600 in der ehemaligen kurfürstlichen Residenzstadt Aschaffenburg soll mit einer Reihe von Tagungen unter dem Titel „Focus 1600“ zum einen eine stärkere Sensibilisierung für die deutsche Kunst dieser Epoche, zum anderen eine kritische Hinterfragung und schärfere Profilierung des Manierismus-Begriffs aus einer möglichst breiten kulturhistorischen Forschungsperspektive heraus versucht werden.

Im Zweijahresrhythmus steht nach dem erfolgreichen Auftakt 2021 nun vom 8. bis zum 10. September 2023 die zweite Tagung dieser Reihe an, die sich den Momenten des Irrationalen in Kunst und Architektur der deutschsprachigen Länder zwischen 1550 und 1650 widmen soll und dabei zugleich auch eine über das römisch-deutsche Reich hinausweisende Perspektive einnehmen möchte.

Rahmenthema 2023: Momente des Irrationalen in der deutschen Kunst um 1600

Über den Dächern der Aschaffenburger Altstadt ist der gewundene Dachreiter der Jesuitenkirche weithin zu sehen, dessen sechs Pfeiler schräg stehen. Er ist einerseits Ausdruck höchsten handwerklichen Könnens, zugleich aber auch des kunstfertigen Regelbruchs und kann daher wie ein bildliches Motto über der diesjährigen Tagung stehen. Diese versteht sich als Beitrag dazu, die bewusst regelwidrige und dadurch neue Erfahrungs- und Sehweisen provozierende wie erprobende Kunst anhand von Beispielen aus der Kunstproduktion des römisch-deutschen Reichs der Jahrzehnte um 1600 zu beschreiben und in vergleichend-kulturwissenschaftlicher Perspektive einzuordnen.

Eine der wesentlichen Emanationen der als Manierismus bezeichneten Kunst des 16. Jahrhunderts ist der Siegeszug der stark irrational determinierten Groteske, der sich halb im Verborgenen vollzieht: im Medium der Buchmalerei, wo sich schon vor 1500 die Drôlerie allmählich zur antik-italienisch geprägten Formensprache der Groteske transformiert. Sie verdient auch deshalb besonderes Augenmerk, weil sich dieser Übergang als rein künstlerischer Prozess gattungsimmanent und weitgehend theoriefern, jedoch exklusiv unter den Augen hochstehender, vermögender und gebildeter Auftraggeber:innen vollzieht.

Genau dieses umfassende, geradezu enzyklopädische Wissen gehört aber zu den Voraussetzungen für ein solches die gültigen Normen durchbrechendes, spielerisches Verfahren, das zugleich die Souveränität im Umgang mit künstlerischen und kunsttechnologischen Theorien, Traditionen und Innovationen sowie mit dem Stil- und Motivrepertoire der verschiedenen Künstlerœuvres demonstriert. Dieses Wissen betraf aktuelle (natur-)wissenschaftliche Diskurse (nicht zuletzt zur Alchemie), neu entdeckte Kontinente, Materialienkunde, Historiographie im Allgemeinen und Kunst- bzw. Künstler:innengeschichte im Besonderen sowie Kunsttheorie, Stilgeschichte und Stildiskurse. Hinzu kam das Bewusstsein von einer gesteigerten Konkurrenzsituation der Künste, Kunstschaffenden und Werkstätten im Kontext der verstärkten politisch-kulturellen Konkurrenzen zwischen Fürstenhöfen, Stadtrepubliken und Reichsstädten. Dies wiederum ging Hand in Hand mit gesteigerten Ansprüchen an eine gleichermaßen intellektualisierte wie sensualisierte Kunst und zugleich an kostbare, exklusive höfische und städtische Sammlungen, die sich vor allem im Phänomen der Kunstkammer niederschlug, in der das Ausgefallen-abnorme, das Kuriose und Monströse stets seinen Platz hatte, diesen nun aber auszuweiten wusste.

Nicht zuletzt die (Selbst-)Definitionen der Emblematik, die sich mit Erscheinen von Andrea Alciatis „Emblematum liber“ (Augsburg 1531) anschickte, Wort und Bild zueinander in ein regelhaftes Verhältnis zu setzen und dabei zugleich eine intellektuelle Wissensgemeinschaft zwischen den Produzent:innen von Literatur und Bildender Kunst und ihren Rezipient:innen herzustellen, sind ein zeitlich parallel laufendes und äußerst aufschlussreiches Phänomen. Denn es gehörte von Beginn an zum Wesen der Emblematik, nicht unbedingt vollständige Deutungen zu erzwingen, sondern dem Publikum durchaus eigenständige Denkarbeit zu überlassen und dabei auch eine unabgeschlossene, letztlich eben irrationale Sinnoffenheit billigend in Kauf zu nehmen.

Ein kulturwissenschaftlicher Ansatz, der die bewusst regelwidrige, neue Erfahrungs- und Sehweisen provozierende wie erprobende Kunst zugleich in den übergeordneten Kontext frühneuzeitlicher Innovations- und Transferprozesse auf den Gebieten der Kultur, Ökonomie und Technologie sowie des verschärften Statuswettbewerbs zwischen den europäischen Fürstenhöfen und großen Städten bzw. Stadtrepubliken einordnet, könnte auch plausibel machen, weshalb der Manierismus überwiegend ein Elitenphänomen geblieben ist. Als solches muss er selbst in jenem Kontext gewertet werden, den Lynette M. F. Bosch in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Mannerism, spirituality and cognition. The art of enargeia“ (London/New York 2020) aufgezeigt hat. Demnach sei der Manierismus in der Kunst auch als Äquivalent zu vergleichbaren rhetorischen Formen in der geistlichen Literatur der Gegenreformation, so auch der Jesuiten, zu verstehen und diente sowohl als Vehikel für neue spirituelle als auch ästhetische Erfahrungen. Für Bosch stellt die spezifische religiöse Sprache und Rhetorik der Gegenreformation daher eine wesentliche Grundlage für die ebenso spezifischen Formen der manieristischen Kunstproduktion der Zeit um 1600 dar, womit sich für ein näheres, differenziertes Verständnis des Phänomens Manierismus und seiner „Irrationalismen“ zusätzliche neue Perspektiven öffnen.

Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Museen der Stadt Aschaffenburg mit den Kunsthistorischen Instituten der Universitäten Bonn und Mainz.

Für maximal 30-minütige Vorträge mit jeweils anschließender, 15-minütiger Diskussion werden Vorschläge von nicht mehr als einer Manuskriptseite in Deutsch oder Englisch erbeten.

Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Reisekosten, Unterbringung und Verpflegung werden übernommen.

Die Vorschläge können den nachstehend aufgelisteten Themenfeldern entstammen, doch sind Erweiterungen denkbar und erwünscht. Bitte ordnen Sie Ihre Einreichung nach Möglichkeit einem oder mehreren der u.g. Themen zu, damit wir auf der Tagung Themengruppen bilden können.

Die Beiträge sollen in einem Tagungsband zeitnah publiziert werden.

Bitte senden Sie Ihre Vorschläge bis zum 2. Mai 2023 an:

Dr. Thomas Schauerte

Museen der Stadt Aschaffenburg

E-Mail: thomas.schauerte@museen-aschaffenburg.de

 

Prof. Dr. Birgit Ulrike Münch

Universität Bonn

E-Mail: bmuench@uni-bonn.de

 

Prof. Dr. Matthias Müller

Universität Mainz

E-Mail: mattmuel@uni-mainz.de

 

Themenfelder:

1. Kunst in den deutschsprachigen Ländern zwischen 1550 und 1650

2. Retrospektive Tendenzen in der Architektur und den Bildenden Künsten um 1600

3. Die deutschen Bistümer zwischen Katholischer Reform und Gegenreformation

4. Kunst im Kontext höfischer bzw. städtischer Konkurrenzen

5. Manierismus und Manierismen / Stildefinitionen und Stildiskurse / Zentren und Peripherien

6. Manierismus und Intermedialität

7. Lokale bzw. regionale und frühnationale Traditionen versus internationale Standards und Verflechtung

8. Theologische und historische Traktatliteratur und Emblematik

9. Kunst- und Architekturtheorie

10. Die Künste im Diskurs der frühneuzeitlichen Wissenschaften

11. Werkstatttraditionen vs. künstlerisch-technische Innovationen

12. Architektur und bildende Kunst der Jesuiten. Neubewertung der jesuitischen Innovationen und Traditionen in den deutschsprachigen Gebieten

13. Kirchen, Klöster, Kapellen und ihre Ausstattungen

14. Burgen, Schlösser, Residenzen, Festungen und ihre Ausstattungen

15. Höfische und städtische bzw. bürgerliche Sammlungen

08.09.2023 bis 10.09.2023